Wörtlich lässt sich Embodiment ins Deutsche als "Verkörperung", "Verleiblichung" oder "Inkarnation" übersetzen. Im Kontext von Coaching & Therapie verweist der Begriff auf die Wechselprozesse zwischen Psyche, Körper und der Umwelt.
Vom körperlosen Kopf zum Embodiment
Das Gehirn wurde lange Zeit als höchste Instanz betrachtet und damit der Körper als Weisheits- und Wissensträger völlig vernachlässigt. Doch gerade in der Therapie erleben wir alle den Moment, wo Analysieren und kognitives Verstehen nicht mehr ausreichen. Gefangen in Automatismen scheint eine grundlegende Veränderung willentlich nicht möglich.
Die neueren Kognitionswissenschaften endeckten die Bedeutung des Körpers für mentale Prozesse - wie beispielsweise Erinnerung, Bewertung und emotionale Wahrnehmung. Auch andere akademische Disziplinen wie Psychologie und Philosophie nutzen den Terminus Embodiment, um die Wechselwirkung zwischen Psyche und Körper zu beschreiben. Die Quintessenz der Embodimetforschung besagt, dass psychisch-emotionale Zustände sich körperlich manifestieren und umgekehrt - körperliche Zustände wie beispielsweise die Haltung, Spannungs- und Atemmuster haben Einfluss auf unser seelisches Erleben.
Die Neurobiologie bestätigen diese These. Antonio Damasio veröffentlichte ein Buch mit dem Titel "Ich fühle, also bin ich". Hier belegt der führende Neurobiologe mit seinen bahnbrechenden Forschungsergebnissen den Irrtum der dualistischen Spaltung von Körper und Geist, der modernen abendländischen Philosopie, zusammengefasst in dem berühten Zitat "Cognito ergo sum" von Descartes.
Der Körper als Schlüssel
Der Körper ist sowohl Ausdruck als auch Reflexion seelischer Prozesse. Durch und mit ihm erleben wir die Welt und treten mit ihr in Interaktion. In Kontexten von Therapie und Coaching ist das Bewusstwerden des eigenen Embodiments extrem wirksam für nachhaltige Entwicklung und zeitgleich ist es oft das, was uns am unbewusstesten ist. Das Bewusstsein über die eigene Verkörperung ist einer der kraftvollsten und radikalsten Schlüssel für Veränderung.
Der Urvater der Körperpsychotherapie Wilhelm Reich - ein Schüler Freuds - endeckte wie bestimmte emotionale Erfahrungen unterschiedliche Körperstrukturen (Artikel folgt) formen und Teil der psychischen Verdrängung sind. Er entwickelte eine Landkarte sogenannter somatischer Charaktertypen. Für Entwicklung neuer Verhaltens- und Erlebensweisen ist es demnach wichtig, dem Körper, den dort gespeicherten Erinnerungen (oft auch präverbal) und den ganzkörperliche Erfahrungen im therapeutischen Prozess Raum zu geben.
Transformation wird erst dann möglich, wenn wir das, was wir im Geiste verstanden haben, auch verkörpern.
Sowohl in meinen Coaching-Sessions, als auch in den psychotherapeutischen Arbeit steht das Embodiment im Fokus. Dabei geschieht Veränderung und Entwicklung nicht durch willentliche Manipulation des eigene Körpers - wie beispielsweise "Oh nein, schon wieder zieh´ ich meine Schultern nach vorne", um dann mit Druck eine entgegengesetzte Haltung einnehmen. Vielmehr geht es um eine Sensibilisierung der Wahrnehmung für die individuellen, meist chronifizierten muskulären Spannungsgestalten und Atemmuster. Im Bewusstsein des achtsamen Erspürens, über das eigene Embodiment, erkennen wir die (Aus-)Wirkung des gelebten physischen Habitus auf unser Erleben. Am Beispiel der vorgezogenen Schultern könnte die Bedeutung dieser Haltung, nämlich der Schutz des eigenen Herzens und den damit verbundenen zarten Gefühle, ins Bewusstsein dringen. Vielleicht gab oder gibt es Zeitpunkte im Leben eines Menschen mit dieser verkörperten "Haltung", in denen es nicht sicher genug war, das Herz offen zu halten und berührbar zu bleiben. Damals war diese Schutzhaltung eine Lösung. Erst im Prozess des fühlenden Verstehens und der Anerkennung früherer Lösungsstrategien wird eine neue Wahl möglich.
Die Quintessenz der Embodimentforschung zeigt uns, dass nicht nur die Emotion und Kognition sich körperlich abbilden, sondern auch der Körper das seelische Erleben beeinflusst.
Die Bedeutung des Leib Begriffs
Unser Körper ist nicht nur ein Ding in der materiellen Welt, das funktionieren soll/muss, um uns beispielweise von einem Ort zum anderen zu bewegen. Der Körper ist kein toter Gegenstand. Der Körper ist beseelt. Er ist die Schnittstelle, vielleicht sogar das Tor zwischen der materiellen und immateriellen, der geistigen Welt. Um die Verbundenheit von Körper und Seele zu benennen, eignet sich der Begriff des Leibes. Hier zeigt sich die deutsche Sprache besonders differenziert und als Träger alten Wissens.
Das Verständnis von Leib als „beseelte Körperlichkeit“ verweist auf die Verankerung des subjektiven Bewusstseins im Körper, das als Voraussetzung für innere und äußere Erfahrungen gilt. Biographische Erlebnisse und die daraus resultierenden Annahmen über sich selbst und die Welt, manifestieren sich über die psychische Struktur hinaus auf der körperlichen Ebene.
Als Fazit für die therapeutische Arbeit gilt, dass die psychische Ebene die physische beeinflusst und umgekehrt.
Konkrete Praxisansätze aus und für das Embodiment Cooaching
Fragst du dich, warum dein Nein, deine Grenzen von deinem Partner, deinen Kinder oder anderen Personen wie zum Beispiel im Arbeitskontext nicht gehört oder akzeptiert werden? Dann könnte es sinvoll sein, im Embodiment Coaching auf die Stimmigkeit deiner Worte im Hinblick auf die nonverbalen Botschaften deines Körpers, deines Energieniveaus und deiner Tonlage zu überprüfen.
Du hast Angst, vor anderen zu sprechen und wünschst dir ein selbstbewussteres Auftreten, das du von innen spürst. Jenseits ausgelatschten Motivationssprüchen möchtest du deine eigen Verkörperung im Embodiment Coaching erforschen und dir ein "Ronja Räubertochter" -Gesicht für mehr Mut aneignen oder die Leichtigkeit eines Vogels verkörpern. Let´s go - alles ist da! Lerne über Verkörperung, die Qualitäten in dein Leben zu bringen, die du dir wünscht.
Embodiment Coaching kann auch Therpeuten, Beratern und Menschen in lehrenden & helfenden Berufen sehr unterstützen. Zum Einen, weil die nonverbalen Körpersignale mehr wiegen, als das gesprochene Wort und zum anderen, weil echter Kontakt und wahre Empathie durch ein Erfühlen des Anderen auf einer somatischen Ebene geschieht. Die intensiven Shifts meiner Klienten entstehen in und über die Körperebene.
„Hat man aber verstanden, daß Physis und Psyche nur zwei Seiten sind, in der Weise, in denen sich das Subjekt immer zugleich innert und äußert, so weiß man, daß man wo immer man am Inneren ansetzt, den Leib mitverändert, und, wo immer man den Leib verändert, zugleich eine innere Veränderung herbeiführt.“ (Dürckheim 1977, 38)